„Wir kämpfen für die Rechte der Ausgeschlossenen!“

„Wir kämpfen für die Rechte der Ausgeschlossenen!“

„Wir kämpfen für die Rechte der Ausgeschlossenen!“

# WAS BEWEGT BERLIN?

„Wir kämpfen für die Rechte der Ausgeschlossenen!“

Warum Berlin bei Arbeitslosigkeit und Armut weit vorne liegt und wie die Evangelische Kirche in Berlin dagegen kämpft. Ein Interview mit Martina Steffen-Elis, Vorsitzende des Berliner Arbeitslosenzentrums der Berliner Kirchenkreise (BALZ)  

Der Berliner Arbeitsmarkt bietet momentan so viele Chancen wie nie: Offene Stellen, ein verlässlicher Mindestlohn – braucht es da noch das Berliner Arbeitslosenzentrum der Ev. Kirchenkreise in Berlin, kurz das BALZ?    

In der Tat ist der Berliner Arbeitsmarkt entspannter als noch vor zehn Jahren. Die Arbeitslosigkeit sinkt, aber die Armut steigt, vielleicht auch, weil der Mindestlohn nicht ganz so verlässlich ist. Deshalb gibt es aus Sicht unserer Beraterinnen und Berater keinen Anlass zur Euphorie oder eine Infragestellung von unabhängiger Sozialberatung.  

Welche Menschen erreicht das Berliner Arbeitslosenzentrum?

Wir beraten ein Drittel Langzeitarbeitslose, die keinen Zugang zum regulären Arbeitsmarkt finden, weder über Qualifikationen noch über die bisherigen Integrationsbemühungen. Ein weiteres Drittel sind Erwerbstätige mit geringem Einkommen, denen der Mindestlohn nur bedingt hilft.  

Wobei kann die Beratung helfen?

Das BALZ ist dazu da, den Menschen bei der Durchsetzung ihrer Rechte zu helfen. Das ist nicht so unerheblich, schließlich sind viele Anspruchsberechtigte überfordert von den komplexen Antragsverfahren oder verstehen schlichtweg das Behördendeutsch nicht. Das ist ein Problem, dass Armut fördert, weil es die Dunkelziffer der Personen erhöht, die erst gar keine Unterstützung beantragen.  

In der Tat liegt die Arbeitslosigkeit in Berlin bei knapp neun Prozent. Was läuft falsch?  

Das BALZ hat sich 1980 gegründet, als die Arbeitslosigkeit geringer war als heute. Die Ursachen für die konstant hohe Arbeitslosigkeit in Berlin liegen an vielen Nachwehen des Vereinigungsprozesses, an einer im Vergleich stark deindustrialisierten Stadt, falschen wirtschaftspolitischen Strategien in den neunziger Jahren und einem äußerst ausgedünnten öffentlichen Dienst. Arbeitsmarktpolitik ist jedoch eine Bundesangelegenheit und da kann die Berliner Politik auch nur bedingt steuern.   

Das BALZ war ja von Anfang an neben der Beratungsarbeit auch politisch und kämpferisch für die Interessen der Arbeitslosen unterwegs. Ich denke da an die Kampagne: „Irren ist amtlich“, in der BALZ-Mitarbeitende die Bescheide der Behörde direkt vor den Gebäuden der Agenturen für Arbeit überprüften. Das Ergebnis war verheerend: Fast die Hälfte aller Bescheide waren falsch. Hat sich das verbessert?  

Die sogenannte Hartz-Reform war eines der politisch riskantesten Projekte der Bundesrepublik. Wir als BALZ haben uns von Anfang an gegen die eindimensionale Ausrichtung auf Arbeitslose gewehrt. Die Sanktionspolitik hat viele Menschen entwürdigt und ins Unglück gestürzt mit psychischen Folgen. Das hat die Spaltung unserer Gesellschaft gefördert. Hilfesuchende wurden zu Bittstellern und damit wurde ihnen ein Gefühl gegeben, nicht mehr von der Gesellschaft als Mensch anerkannt zu werden. Kurz und gut: Das Menschenbild in der Hartz-Reform deckt sich an keiner Stelle mit dem Menschenbild, das unsere Beraterinnen und Berater tagtäglich erleben. Arbeitslose wollen arbeiten und sie wollen dazu gehören.  

Inzwischen hat das an einigen Punkten auch die Politik eingesehen und die Bürgergeldreform auf den Weg gebracht. Da steckt viel Gutes drin, auch wenn sich einige Grundcharakteristika der Hartz-Gesetze auch dort nicht geändert haben. Aber der Anti-Hartz-IV-Kampf ist vorbei. Heute ist es ein Kampf für die Rechte der Armen und Ausgeschlossenen.   

2023 stieg die Armut in der Hauptstadt bei Kindern und Jugendlichen nochmal gravierend an. Was kann das Berliner Arbeitslosenzentrum gegen Kinderarmut ausrichten?  

Nach unserer Rechnung lebt in Berlin jedes dritte Kind in Armut. In keinem Bundesland leben mehr arme Kinder und das schon seit über zwanzig Jahren. Die Berliner Quote ist im EU-Vergleich so hoch wie die in Rumänien und Bulgarien – den Schlusslichtern auf europäischer Ebene.  

Wir haben in der Beratungspraxis viele alleinerziehende Mütter, die einen Minijob haben, Kinder, ein Studium und einen Vater des Kindes, der keinen Unterhalt bezahlt. Das ist das klassische Beispiel für Kinderarmut. Wir können diesen Frauen auch nur zu ihren bestehenden Rechten verhelfen. Die Kindergrundsicherung würde ihre Lebenssituation stark verbessern.  

Bedeutet Armut bei Kindern verpasste Chancen für deren Bildung?

Wir reden viel über Fachkräftemangel und über die kommenden Generationen, die nicht auf Schulden sitzen bleiben sollen. Nur ist die Nachqualifikation mit Schulabschlüssen und Berufsabschlüssen, wie wir es jetzt im Bürgergeldgesetz haben, um ein Vielfaches teurer, als wenn wir Kindern aus der Armut verhelfen – also im Kinderzimmer fördern, damit ihnen alle Chancen offen stehen.   

Das Berliner Arbeitslosenzentrum hat sich personell neu aufgestellt. Was hat sich verändert?  

Ja, das BALZ ist jetzt ein „normaler“ Verein mit Vorstand und Geschäftsführung. Zuvor wurde der Vorsitzende Frank Steger von einem Berliner Kirchenkreis abgeordnet. Ich habe den Vorsitz übernommen und Pfarrer Peter Storck ist mein Stellvertreter. Zudem haben wir Kai Lindemann, der schon zuvor im BALZ ehrenamtlich engagiert war, zum Geschäftsführer bestellt. Ich denke, wir sind nun gut aufgestellt, auch weil Frank Steger das BALZ in einem exzellenten Zustand übergeben hat. Er war 30 Jahre an der Spitze des Beratungszentrums und wird am 11. September auf unserem Jahresempfang feierlich verabschiedet.   

Was sind die nächsten Ziele?  

Zunächst einmal wollen wir alle Berliner Kirchenkreise dafür gewinnen, sich am Berliner Arbeitslosenzentrum zu beteiligen. Momentan sind nur 6 von 10 Kirchenkreisen dabei. Unser Ziel ist es, seismographisch für Berlin die Problemlagen aller Bezirke beim Thema Armut zu erfassen und politisch zu spiegeln. Für die Politikerinnen und Politiker geben wir wichtige Rückmeldungen. Zum Beispiel werden wir uns bei unserem Jahresempfang im September mit der Frage der Kindergrundsicherung und welche Auswirkungen sie auf arme Kinder hat, beschäftigen. Hier werden sicher wichtige Aspekte zur Sprache kommen, welche die Politik dann aufnehmen kann.   

Das Berliner Arbeitslosenzentrum ist im Koalitionsvertrag fest verankert gewesen. Dann kamen die Neuwahlen. Gilt die Finanzierungszusage unter der großen Koalition immer noch?  

Das BALZ stand und steht auch jetzt im Koalitionsvertrag. Wir sind sehr froh, dass wir es nun wieder geschafft haben. Trotzdem ist das noch keine Garantie für eine dauerhafte Ausfinanzierung. Wir haben in der Stadt einen sehr guten Ruf, werden von vielen Kolleginnen und Kollegen aus Beratungsstellen und Wohlfahrtsverbänden geschätzt und hoffen, dass wir weiterhin auf diesem hohen Niveau mit unseren kompetenten Mitarbeiter*innen die Berliner Stadtgesellschaft sozialer, gerechter und humaner machen können.

Das Interview führte Cornelia Schwerin.

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