30/10/2024 0 Kommentare
Die Mauertoten nicht vergessen
Die Mauertoten nicht vergessen
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Die Mauertoten nicht vergessen
Sie wurden erschossen, sie ertranken oder stürzten auf dem Weg in die Freiheit in den Tod: Mindestens 140 Menschen kamen zwischen 1961 und 1989 beim Versuch, aus Ostberlin zu fliehen, ums Leben. In der Kapelle der Versöhnung lesen Ehrenamtlich Mitarbeitende regelmäßig die Biographie eines Mauertoten vor - auf dass die Toten nicht vergessen werden. Stellvertretend erinnern wir an eine davon:
Marienetta Jirkowsky
geboren am 25. August 1962
erschossen am 22. November 1980
Geboren in Bad Saarow, aufgewachsen in Rauen und Spreenhagen bei Berlin, macht Marienetta, genannt Micki, zunächst im Reifenkombinat Fürstenwalde eine Ausbildung als Textilfacharbeiterin. Ihre Freunde beschreiben Micki als »kleine, ausgeflippte, lebenslustige Person«.
Eigentlich wollten sie und ihre Freunde »nur in Ruhe leben, ohne Stress und ohne alles verboten zu kriegen«, berichtet ihr Freund Falko V. später. Als Marienetta dessen Freund Peter kennenlernt und sich nach ihrem 18. Geburtstag mit ihm verlobt, wollen die Eltern ihrer Tochter die Beziehung verbieten. Die Konflikte gehen so weit, dass die Eltern Micki den Umgang mit ihrem Verlobten polizeilich untersagen lassen.
Peter W. hat schon mehrere Ausreiseanträge gestellt und auch Falko V. trägt sich mit Fluchtgedanken. Die drei beschließen, die Flucht zu konkretisieren – geplant ist sie dann für die Nacht vom 22. auf den 23 November. Am Tag zuvor erkunden die drei in der Nähe von Hohen Neuendorf das Grenzgebiet nach günstigen Fluchtstellen.
Zufällig entdecken sie dabei auf einem Grundstück zwei Leitern. Spontan entschließen sie sich, schon in dieser Nacht zu fliehen. Ohne es zu ahnen, entgehen die beiden jungen Männer dadurch nur knapp ihrer für den frühen Morgen vorgesehenen Verhaftung. Ein Spitzel hatte ihre Fluchtpläne verraten.
Die nächsten drei Nachtstunden beobachten die jungen Leute die Vorgänge an der Grenze und sprechen sich Mut zu. Kurz vor vier Uhr überwinden sie im Grenzabschnitt Florastraße zwischen zwei Wachtürmen die Hinterlandmauer und den Signalzaun. Die letzte Leiter stellen sie an die dreieinhalb Meter hohe Beton-Mauer zu West-Berlin. Die beiden Männer schaffen es nacheinander, die Mauer zu ersteigen. Marienetta Jirkowsky aber ist zu klein, um die Mauerkrone mit ihren Händen zu erreichen. Ihr Verlobter, der sich noch auf der Mauer befindet, reicht ihr die Hand, um sie nach oben zu ziehen.
Plötzlich fallen Schüsse. Marienetta wird von den Kugeln getroffen und stürzt schwer verletzt von der Leiter. Peter W. kann sich auf die Westseite der Mauer fallen lassen. Die junge Frau wird von DDR-Grenzsoldaten geborgen, erstversorgt und in das Krankenhaus Hennigsdorf gebracht. Dort stirbt sie nach einer Notoperation an den Folgen eines Bauchdurchschusses.
Die Staatssicherheit ist bemüht, jegliche Informationen über den Tod der 18-Jährigen zu verhindern. Auf keinen Fall soll ein Bild der Erschossenen veröffentlicht werden. Um die beiden Freunde als »Lügner« bloßzustellen, sieht der Stasi-Plan vor, den westlichen Medien das Foto einer völlig fremden, jungen Frau zuzuspielen, um dieses als »falsch« zu entlarven und damit die gesamte Berichterstattung über den tödlichen Fluchtversuch diskreditieren zu können.
Dieser Plan misslingt jedoch, weil die Freunde von Marienetta den Fall im Westen bekannt machen. Ein Gedenkkreuz, das die beiden Freunde auf westlicher Seite in der Nähe der Fluchtstelle für Marienetta aufstellen, wird von einem Inoffiziellen Stasi-Mitarbeiter entfernt und im März 1981 heimlich zum Ministerium für Staatssicherheit nach Ost-Berlin gebracht
Andachten für die Opfer
Regelmäßige Andachten erinnern in der Kapelle der Versöhnung im Gedenkstättenareal an die 140 Menschen, die an der Berliner Mauer zwischen 1961 und 1989 starben. Bei jeder Andacht wird die Biografie eines Todesopfers gelesen. Interessierte können – ohne vorherige Anmeldung – immer dienstags bis freitags von 12 bis 12:15 Uhr an den Andachten teilnehmen. Sie werden in Kooperation mit der Evangelischen Versöhnungsgemeinde organisiert.
Zum Nachlesen: Weitere Biographien von Menschen, die an der Mauer starben.
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