04/11/2025 0 Kommentare
Wir kommen nach: Über das Leben an endlichen Tagen
Wir kommen nach: Über das Leben an endlichen Tagen
# WAS BEWEGT BERLIN?

Wir kommen nach: Über das Leben an endlichen Tagen
Im Roman „Wir kommen nach“ schreibt die Autorin und Diakonin Manuela Fuelle über das, was bleibt, wenn das Leben keine Tage mehr kennt.
Diese Reise organisiert der Tod. Er bringt alle ans Ziel. In dem neu erschienenen Roman schreibt die Autorin Manuela Fuelle über das Sterben und über das, was im Leben erinnerlich bleibt.
Es beginnt auf dem Waldfriedhof an der Küste, die Familie sammelt sich hinter der Urne, dem letzten Wunsch Heides entsprechend. Zwanzig Rückblenden widmet die Erzählerin der Schau auf das Leben ihrer besten Freundin Heide – ihrer Schwiegermutter. „Du bist mir wie eine Tochter“, diese Herzenssicht öffnete der Protagonistin einst die familiäre Tür. Heides Söhnen, einer ist Phil und der Mann der Erzählerin, sowie ihrem Sohn Sönke wird sie zur Chronistin einer Familie, die vom Küstenwind, Sommerhaus und der Stadt am Meer geprägt, viel über die irdischen Dinge weiß. Warum noch den himmlischen nachjagen?
„Wenn wir geahnt hätten, dass dies irgendwann die glücklichste Zeit unseres Lebens genannt werden würde, und zwar Jahre später von uns selbst, dann hätten wir den ganzen Tag über gelächelt und uns geküsst und umarmt. Aber hat ja niemand.“, schreibt die Erzählerin.
So changiert sie zwischen den Erinnerungen, die Heide aus ihrem Leben erzählt, plaudert sich durch die gemeinsam erlebten Sommertage am Meer und in der Heimat Berlin. Die Schwiegermutter ist vollkommen praktisch, komplett gedankenversunken die Ich-Erzählerin. Eine ungleiche Freundschaft, die auch ihre gemeinsame Bindung über Sönke erfährt.
Heides Kindheit, die mit der Flucht aus Danzig jäh endet, atmet den Pragmatismus einer ganzen Frauen-Generation. Sie will als Lehrerin gebraucht werden, managt die Familie und braucht andere, um glücklich zu leben. 24 Jahre Ehe - bei der Beerdigung bleiben sie unerwähnt - waren keine glückliche Zeit. Gestorben wird, wie gelebt wurde.
Die Schwiegertochter reagiert erstaunt, gereizt, ja philosophisch über so viel familiäre Diesseitigkeit. Was ist mit den großen Fragen im Angesicht des Todes? Obgleich auch sie ihr Verdrängen ahnt, denn „gestorben wird immer nur bei anderen Familien“. Mit sprachlichem Witz und kabarettistischem Talent wechselt die Autorin die Stimmungslage - von urkomisch bis schocktraurig.
Denn auch im Angesicht des Todes bleibt das Leben unperfekt, wenn sie die seltsamen Parallelen zu ihrer Ehe erkennt: „ Ich wollte meine eigene Geschichte, meine Geschichte mit ihrem Sohn, durch ihre Geschichte verstehen lernen. Er und ich, wir kamen offensichtlich aus gescheiterten Ehen.“
Ein Experiment des Romans stellen die fünf Exkurse dar. Manuela Fuelle, 1963 in Ost-Berlin geboren, ist Theologin, bevor sie 2011 als Autorin mit „Fenster auf, Fenster zu“ ihr Romandebüt gab. Ihre Exkurse sind philosophische Betrachtungen über das Sterben. Sehr kenntnisreich erörtert Fuelle die Frage, ob ein selbstbestimmter Tod für Heides Krebsschmerzen nicht doch Hilfe zum Sterben hätte sein können. Hier fließen ihre beruflichen Lebenserfahrungen ein. Als Diakonin kennt sie Schock und Trauer der Hinterbliebenen, wenn sie Beerdigungen hält und Trost sucht. Wen diese Einschübe stören, der kann sie überblättern. Wer sich dem Tod begleitet durch die Autorin nähert, findet Trost und Erkenntnis zugleich.
„‘Ihr werdet euch doch hoffentlich noch eine Weile an mich erinnern‘ fragt die Schwiegermutter. ‚Und wir rufen im Chor: Wir werden immer an dich denken. Wir werden uns an alles erinnern und uns gegenseitig die Geschichten erzählen, die wir miteinander erlebt haben.‘“
Es sind die einfachen Fragen und die gelungenen Antworten, die im Leben und Sterben bleiben. Ein sehr lesenswertes Buch.
Manuela Fuelle, „Wir kommen nach“, Stifter Verlag, 2025, 18 Euro.
 
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